Der Bau der St. Stephanus Kirche

Sie scheint wie im Fluge vergangen, die Zeit nach der feierlichen Einweihung der Kirche im Dezember 1990. Drei Jahre hatte es gedauert, bis die Aramäer den Umbau ihres Gemeindezentrums an der Ecke Hohenzollernstraße / Nordring vollenden konnten. Im September 1987 erwarben sie die Besitzung der Firma Eugen Frederich. Dazu gehörten die Häuser Nr. 51, 53 und 55 an der Hohenzollernstraße und eine dahinter liegende große Halle, in der für den „Yachtclub Gütersloh“ Motor- und Segelschiffe untergebracht wurden. Ursprünglich war dort das Glaslager der Firma Eugen Friedrich gewesen. Das mittlere der Häuser mit der Nummer 53 beherbergte im Erdgeschoss die Tanzschule Neitzke, die auch den eingeschossigen Anbau zur Halle als Umkleideraum nutzte. Im 1. Obergeschoss war das Büro der Architekten Flöttmann und Richter und das Dachgeschoss bewohnte eine Familie mit mehreren Kindern, deren Eltern sich nach vielen lautstarken Streitereien schließlich trennten. Man zog aus und die Wohnung stand bald leer.

Ehemalige Glaserei “ Eugen Friedrich“  wird eine Kirche

Im Erdgeschoss des Nachbarhauses Nummer 55 verkaufte Jakobus Oudeman Blumen und er wohnte dort auch. Ober- und Dachgeschoss waren vermietet. Auch hier gab es einen Anbau, in dessen Keller zahlreiche, noch gefüllte Ölfässer aus Stahl gelagert waren, die natürlich im Laufe der Zeit verrostet, undicht geworden und z. T. ausgelaufen waren. Eine unangenehme Altlast, die beim Umbau noch Schwierigkeiten machen konnte. Im Hof zwischen den Häusern befand sich ein unterirdischer Öltank mit einem Fassungsvermögen von 10.000 l für die Heizung von Nr. 53. Auch im Erdgeschoss des Hauses Nummer 51, das früher als Glaslager benutzt wurde, lagerte man im Winter einige Schiffe ein. Wohnungen im Ober- und Dachgeschoss waren vermietet. Und aus alledem sollte nun ein Gemeindezentrum werden. Ein erster Kontakt ergab sich, als eines Vormittags mehrere Herren in schwarzer Kleidung im Büro Flöttmann und Richter erschienen, die sich untereinander in einer uns fremden Sprache verständigten. Sie grüßten höflich und einer von ihnen, der recht gut Deutsch sprach, stellte sich als zuständiger Gemeindepfarrer Sabri Aydin vor. Er informierte uns, dass die zweite Gemeinde der Aramäer in Gütersloh die neuen Besitzer der Grundstücke und Gebäude werden sollten. Zu ihm sprang dann auch bald der Funke über, der uns zusammen arbeiten ließ. Sabri Aydin wollte bauen und renovieren, ich hielt unsere gemeinsamen Ideen, die wir in vielen abendlichen Gesprächen entwickelten, in Skizzen fest, half ihm beim Formulieren von Briefen an Behörden. Die Gemeindemitglieder begannen im Erdgeschoss unter unseren Büroräumen zu arbeiten. Man wollte sich einen kirchlichen Raum schaffen, selbst und mit eigenen Mittel.

Sabri Aydin ordnete an und organisierte Material. Es wurde über Wochen und Monate an jedem Tag spät nachmittags und abends gehämmert, gebohrt, geklopft. Hin und wieder, besonders wenn wir kaum noch telefonieren konnten, ging ich nach unten in den Baubetrieb und versuchte den Lärm etwas einzudämmen. Viele Helfer arbeiteten dort, wenn sie nach ihrer beruflichen Tätigkeit Feierabend hatten, viel schauten aber auch nur zu. So konnte ich auch manchen guten Rat geben, vor allem dann, wenn Wände und Decken abgerissen werden sollten, die statisch wichtig waren. Trotzdem sind im Architektenbüro etliche Risse entstanden. Die Umbauarbeiten schritten voran und im Februar 1988 konnte der renovierte Gemeindesaal in Anwesenheit des Erzbischofs feierlich eingeweiht werden.

Schnell stellte sich heraus, dass der Saal für die große Gemeinde viel zu klein war. Im Juli 88 begannen deshalb die ersten Planungen für die Kirche St. Stephanus. Sie sollte in der großen Halle entstehen. Die Pläne sahen vor, das Gebäude mit seiner Grenzbebauung – die Außenwände im Osten und Süden stehen direkt auf der Grundstücksgrenze – im alten Zustand zu erhalten, also ohne Fenster und Türen, die Halle zum Nordring um etwa ein Drittel zu kürzen und einen Keller für die Heizungsanlage einzurichten. Darüber hinaus sollte die Dachkonstruktion statisch erhalten bleiben.

Die Planungsphase zog sich für die ungeduldigen Kirchenbauer viel zu lange hin. Die Gespräche mit den zuständigen Herren vom Bauordnungsamt waren aber deshalb so zeitraubend, weil unzählige Ausnahmen geprüft und begutachtet werden mussten. Schließlich aber wurde die behördliche Genehmigung mit einigen Auflagen erteilt und nun konnte man endlich mit dem Umbau beginnen. Zuerst musste der Keller im Innern der Halle erstellt werden, so dass die nicht ganz guten Fundamente für die aufgehenden Außenwände, die schließlich das Dach tragen sollten, erhalten bleiben konnten. Diese Arbeiten wurden fachmännisch von einem Bauunternehmen durchgeführt. Die vielen Zuarbeiten aber wie begradigen, planieren, ausschachten, verfüllen und verdichten wurden ausschließlich von den zahlreichen bauwilligen Helfern der Gemeinde erledigt. Es war immer wieder erstaunlich und in höchstem Maße anerkennenswert, wie groß die Bereitschaft zu aktiver Mitarbeit am Kirchenbau war. Oft wurde bis spät in die Nacht gewerkelt. Der Keller war bald fertig, die Decke gegossen, die neuen Außenwände zum Nordring und die Innenwände zum Altar waren errichtet, ein Graben unter der Sohle für die Heizung wurde gemauert. Schließlich konnte man die Betonsohle und die Decke für die Empore gießen.

Zwischendurch wurde auch die maroden Außenmauern an der Südseite „saniert“. Das für den Abriss vorgesehene Drittel der Halle zum Nordring stand noch immer. Man wollte zuerst das Dach der neuen Kirche verschalen und verdichten. Auch hier waren professionelle Handwerker im Einsatz. Trotzdem gab es bei den Dacharbeiten einen Zwischenfall. Ein Lehrling des Dachdeckerbetriebes fiel durch das alte undichte Dach auf den Betonboden der Halle. Er überlebte Gott sei Dank den Unfall, musste aber mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht werden.

Noch vieles war an Außen- und Innenarbeiten zu erledigen, aber schließlich konnten die Gemeindemitglieder an eine der wichtigsten Aufgaben gehen. Aus der alten Heimat Tur Abdin hatte man Steine liefern lassen, die für den Altar Verwendung finden sollten. Und nun begann ein erstaunliches Werk zu entstehen. Sozusagen aus dem „Nichts“, ganz ohne Plan oder Konzept bauten der „Meister“ aus Süddeutschland, der „Müller“, den ich so nannte, weil er durch den Staub der weißen Steine immer wie mit Mehl gepudert aussah, der Pfarrer, dessen schwarzer Talar abends die weißen Spuren der Arbeit trug, und weitere Angehörige der Familie Aydin in etwa vier Wochen den Altar als Zentrum und Angelpunkt der Kirche.

Die gesamte Planungs- und Bauzeit war begleitet von intensiven Gesprächen zwischen Sabri Aydin und mir, denn in dem entstehenden Gebäude sollte die Gemeinde eine neue Heimat finden. Es musste eine Verbindung zwischen alten Traditionen und neuem Gedankengut in Gütersloh geschaffen werden. Als Architekt brauchte ich Einsichten in den Ablauf eines Gottesdienstes, um dem Altarraum eine angemessene Gestalt zu geben. Sabri Aydin wollte die Bauweise und Traditionen des Kirchenbaues in Westfalen verstehen und Verbindungen knüpfen. Es war eine Zeit außerordentlich fruchtbarer Zusammenarbeit, in der wir uns auf freundschaftlicher Basis intensiv auseinandersetzen und gemeinsam von der Planung der baulichen Voraussetzungen bis zur Farbgebung des Innenraumes und der Gestaltung der Glasfenster mit der Lebensgeschichte des heiligen Stephanus einen Raum für ein intensives Gemeindeleben schaffen konnten. Die feierliche Einweihung der Kirche durch Erzbischof Julius Jeschu Cicek war für mich ein eindrucksvolles und bewegendes Erlebnis.

Gerne denke ich an diese Zeit zurück und freue mich, wenn ich an der Kirche vorbeikomme, immer wieder, dass Menschen aus und eingehen, sich treffen, dort einen Ort der Begegnung gefunden haben, mit dem sie sich identifizieren können.