Aramäer – Die eigentlichen Syrer

Warum schreiben wir eigentlich das Jahr 2017? Auf den ersten Blick eine sehr merkwürdige Frage, wenn wir es einfach als Faktum anerkennen. Auf den zweiten aber wohl mehr als berechtigt, wenn wir uns fragen woran sich unsere Zeitenrechnung eigentlich orientiert. Für die Christen ist das Jahr 0 das Geburtsjahr des Messias Jesus Christus, des Sohn Gottes, der durch seine Kreuzigung die Sünden der Menschheit auf sich nahm und daraufhin wiedergeboren wurde. Wissenschaftler tendieren auf ein etwa sieben Jahre früheres Geburtsdatum, jedoch hat sich die Zeitrechnung so arrangiert, wie wir sie heute nutzen. Jesus von Nazareth, von dem uns die einzigen Zeugnisse durch das heilige Buch der Bibel und einige römische Historiker überliefert sind, ist für die Aramäer nicht nur durch den christlichen Glauben, dem die absolute Mehrheit der Aramäer zugehört, von größter Bedeutung. Auch durch die gemeinsame aramäische Sprache sind die Aramäer mit Jesus verbunden.

Zur Zeit Jesu wurde im Gebiet Israels nämlich hauptsächlich ein aramäischer Dialekt sowie Hebräisch und Griechisch gesprochen. Außerdem ist der aramäische Herrscher Abgar Ukkama (der Schwarze) der einzige König, dem ein Schriftwechsel mit Jesus nachgesagt wird. Darüber hinaus wird in diesem Zusammenhang oft von einem sagenhaften Bildnis gesprochen, das ein Gesandter Abgars von Jesus angefertigt haben soll und über dessen Verbleib man heute im Unklaren ist.

Die ersten Syrer

Durch die Missionierung der Apostel verbreitete sich der christliche Glaube rasch im Vorderen Orient und gelangte so durch Paulus und Petrus auch nach Antiochien, wo die Jünger Christi zum ersten Mal Christen genannt wurden (Apostelgeschichte 11, 26). Auch dieser Umstand ist ein Grund dafür, dass die Geschichte der antiken Aramäer zur Zeitenwende untrennbar mit der Geschichte der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien verbunden ist. Diese Stadt, welche vom Diadochen, das heißt einem der Nachfolger Alexanders des Großen, Antigonos I. gegründet wurde, stellte zu diesem Zeitpunkt eines der fünf Zentren des römischen Weltreiches dar. Die christianisierten Aramäer nahmen nun die schon seit längerer Zeit gebräuchliche Bezeichnung Syrer an. Dieser Name wurde schon früher von den Griechen für die Aramäer genutzt, setzte sich jedoch bei den Aramäern erst mit der Christianisierung durch, um sich von den heidnisch gebliebenen Aramäern zu unterscheiden. Diese syrische Selbstbezeichnung sollte sich nun vollends durchsetzen und wird auch heute noch vorwiegend als Selbstbezeichnung „Suryoye“ unter den Aramäern genutzt. Achten muss man hier darauf, den Begriff Suryoye nicht bloß auf die Aramäer, sondern auch auf alle der Syrisch-Orthodoxen Kirche angehörigen Gläubigen zu beziehen und die alten Syrer nicht mit den Bewohnern des heutigen arabischen Staates gleichzusetzen. Obwohl auch im jetzigen Staat Syrien sehr wohl noch einige Aramäer leben, so sind doch die meisten heutigen Syrer Araber. Spricht man beispielsweise von der syrischen Sprache, so ist jedoch ohne Frage die aramäische Sprache gemeint, denn die heutige Sprache Syriens ist das Arabische. Insbesondere aufgrund dieser komplizierten Sachlage bezüglich der Eigenbezeichnung, nutzt man in der deutschen Sprache für die Volkszugehörigkeit fast ausschließlich den Begriff Aramäer.
Petrus und Paulus als Urväter der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien

Zwei Städte als Zentren der aramäischen Kultur werden zwangsläufig in einem Atemzug genannt. Antiochia, als Ursprung der Christengemeinde außerhalb Israels, und Edessa, die Wiege der syrischen (aramäischen) Sprache. Der aramäische Dialekt von Edessa (Syrisch) setzte sich schon damals als Schriftsprache durch und wird auch heute noch in den Gottesdiensten der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien sowie ihrer Schwesterkirchen (beispielsweise die Maronitische Kirche im Libanon und die Kirche des Ostens) als offizielle Liturgiesprache genutzt. Die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien ist eine der Kirchen, die ihren Urpatriarchen im Apostel Petrus sieht. Petrus war mit seinem Bruder Andreas einer der ersten Apostel und hieß eigentlich Simon. Jesus aber gab ihm den Beinamen Kepha (Felsen). Der berühmte Satz „Du bist Petrus, das heißt Fels, und auf Dir will ich meine Kirche bauen“ geht auf Simon Kepha (Petrus) zurück. Denn Petrus heißt im Griechischen Fels. Petrus wird als erster Bischof von Antiochien geführt. In den Jahren 33 – 40 n. Chr. hat er der Überlieferung nach sieben Jahre in Antiochien gewirkt, ehe er nach Rom reiste. Dort erlitt er schließlich das Martyrium. Der Sage nach, und insbesondere aus katholischer Sicht ein Faktum, ist der Petersdom im heutigen Vatikanstaat auf dem Grab Petri errichtet worden. Auch das Grab des zweiten großen Apostel, Paulus will man in Rom wieder entdeckt haben. Der Historiker Eusebius schrieb, dass Paulus, der die römischen Bürgerrechte besaß, unter dem damaligen Kaiser Nero mit dem Schwert enthauptet wurde. Diesem Kaiser sagt man eine der ersten großen Christenverfolgungen nach. Er soll Christen als lebende Fackeln zur Erhellung der Straßen genutzt haben und machte die Christen sogar für den großen Brand von Rom verantwortlich. Historiker glauben allerdings eher, dass er selber das Feuer legen ließ, um die Stadt nach seinen Vorstellungen neu aufzubauen. Petrus hingegen galt als Reichsangehöriger ohne Bürgerrechte, und wurde in der damals üblichen Art der Kreuzigung, und der Legende nach mit dem Kopf nach unten, hingerichtet. Paulus wollte damit zum Ausdruck bringen, dass er es nicht wert sei, wie sein Heiland gekreuzigt zu werden und äußerte mit diesem Wunsch seine Demut. Diese beiden Apostel und ihr Martyrium sollten einen großen Einfluss auf das Verständnis der Christen, und nicht zuletzt auf das der Gläubigen der Syrisch-Orthodoxen Kirche, ausüben.

Ephrem der Syrer und die frühen Kirchenväter

Eine große Hürde für die Aramäer in den ersten Jahrhunderten n. Chr. war die Tatsache, dass die Aramäer in Nordmesopotamien, dem Gebiet des Tur Abdin, genau im Grenzgebiet zwischen dem Römischen Reich sowie dem Perserreich lebten. Eben in dieser Zeit lebte der Hl. Ephrem der Syrer. Im Jahre 306 n. Chr. wurde er in Nisibis (heute Nusaybin/Türkei) geboren. Der hl. Ephrem lebte noch vor der Zeit der Kirchenspaltungen und wird daher von den westlichen wie auch östlichen Kirchen als Kirchenvater angesehen. Sein Wirken und seine Lehren brachten ihm mehrere Beinamen ein, darunter so außergewöhnliche wie „Sonne der Schulen“, „Fürst der Poeten“, „Brunnen der Wissenschaft“, Hammer für die Häretiker“, „Vorbild der Eremiten“, „Säule der Kirche“, und „Harfe des Heiligen Geistes.“ Mehr als für den Katholizismus ist aber seine Bedeutung für die Orthodoxen Kirchen anzusehen. Schon die überwältigende Menge an Publikationen reichen, um in die Superlative einzugehen. So spricht der Kirchenhistoriker Sozomenos von über 300.000 Textzeilen, die zu Ephrems Nachlass zählen. Übersetzungen sollen seine Werke schon zu seinen Lebzeiten ins Griechische erfahren haben, zudem ins Armenische, ins Koptische, Äthiopische, Arabische und über das Griechische ins Lateinische. Ihm zugeschriebene Werke in liturgischer Form sind Bestandteile der syrischen, armenischen, koptischen, griechischen und sogar der russischen und slawischen Kirchenliturgien. Ein anderer großer Kirchenvater der Frühzeit war Jakob Baradäus oder Baradai, der als asketischer Mönch nach Konstantinopel reiste und später von der oströmischen Kaiserin Theodora, die aramäischer Herkunft war, zum Bischof von Edessa sowie des Emirats der Ghassaniden geweiht wurde. Baradai beschränkte sich jedoch nicht nur auf ein Wirken in seinem Bistum, sondern stellte sich vollends in den Dienst der SyrischOrthodoxen Kirche, indem er für die Einheit arbeitete und der Überlieferung nach 27 Bischöfe sowie tausende Priester geweiht haben soll. Oft wurden aufgrund seines Wirkens die Anhänger der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien als Jakobiten bezeichnet. Dies wird heute jedoch als abfällig angesehen, und sollte dementsprechend nicht mehr genutzt werden.

Islam und Blütezeit der Syrisch-Orthodoxen Kirche

Byzanz, unter dessen imperialistischem Joch die Aramäer im 8. Jh. n. Chr. lebten, wurde nie wirklich als übergeordneter Staat akzeptiert. Aufgrund der unterschiedlichen Glaubensauslegungen, insbesondere nach dem Konzil von Chalcedon, sahen sich die syrisch-orthodoxen Christen den Repressalien seitens Byzanz ausgesetzt. Als die nun islamisierten Araber den Tur Abdin und die wichtigen Städte Edessa, Amid sowie Antiochia eroberten, sahen die ansässigen Aramäer diese als Befreier an. Die anfängliche Toleranz seitens der Moslems schlug jedoch schon früh in Verfolgungen um. Nichtsdestotrotz folgte eine Blütezeit der Syrisch-Orthodoxen Kirche. Die beiden wichtigsten Kirchenväter dürften hier seine Heiligkeit Patriarch Michael dem Großen und Gregorius Bar Hebräus sein. Patriarch Michael dem Große gelang es in der Zeit der Kreuzzüge die Organisation seiner Kirche zusammenzuhalten. Seine Werke waren außergewöhnlich und er wurde insbesondere durch seine Weltchronik berühmt, die damals zu den umfangreichsten Chroniken überhaupt gehörte. Trotz dieses Umstandes wurde die Chronik erst Anfang des 20. Jahrhunderts in eine westliche Sprache übersetzt, nämlich durch Jean-Baptiste Chabot, der sie aus dem Aramäischen ins Französische übersetzte. Interessant ist die Fülle an astronomischen, meteorologischen sowie naturkundlichen Schilderungen wie etwa für die Jahre 537 und 538 n.Chr., wo davon die Rede ist, dass für 18 Monate die Sonne kaum mehr schien, die Früchte nicht reiften und der Wein sauer schmeckte. Naturwissenschaftler konnten für diese Jahre tatsächlich eine Klimakatastrophe weltweiten Ausmaßes nachweisen. Der andere große Autor, Bar Hebräus, galt zudem als großartiger Arzt und hatte die privilegierte Anstellung als Leibarzt beim damaligen Mongolenkhan inne. Bar Hebräus sind über 30 Schriften aus dem Gebiet der Astronomie, der Ethik, der Grammatik, des Kirchenrechts, der Mathematik, der Medizin, der Philosophie sowie Theologie zuzuschreiben. Er gilt bis heute als der am meisten gebildete, präziseste und glaubwürdigste Historiker seiner Zeit. Nicht umsonst wurde der in den 1980er Jahren gegründete Buchverlag im St. Ephrem Kloster in Glane/NL nach ihm benannt. Auf die Blütezeit der Syrisch-Orthodoxen Kirche sollten jedoch Jahrhunderte des Niedergangs und der Verfolgung folgen.

Blüte und Niedergang

Der Siegeszug des Islam, der im 7. Jahrhundert begann und mit der fast vollständigen Eroberung der iberischen Halbinsel ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte, ist von den Aramäern, die bereits damals vornehmlich Christen waren, zu Anfang eher positiv aufgenommen worden. Unter der islamischen Herrschaft konnte auch ihre eigene Kultur weiter gedeihen. Nicht zuletzt deswegen wird dieser Zeitraum bis zu den Kreuzzügen als einer der Höhepunkte der Syrisch-Orthodoxen Kirche bezeichnet.
Als „Schutzbefohlene“ genossen die aramä- ischen Christen zwar nicht die gleiche Stellung wie ihre moslemischen Herrscher und deren moslemische Untertanen, konnten jedoch weitestgehend ihrer Kultur und Religion nachgehen. Nach den Kreuzzügen änderte sich diese Situation schlagartig. Mit dem Fall der letzten Kreuzfahrerfestung Akko im Jahr 1291 und den schlimmen Erfahrungen mit den oftmals brutalen Kreuzfahrern nahmen die Repressalien seitens des Islams immer größere Ausmaße an. Ein Grund dafür war auch das Vordringen mongolischer Reiterhorden, die sich von Zentralasien aus anschickten, das von Dschingis Khan aufgebaute mongolische Weltreich weiter auszudehnen. Die Mongolen stellten zu Anfang keine Gefahr für die Christen dar, denn die meisten Mongolen sahen eher im Islam eine Gefahr für ihre alten, auf Schamanismus ausgelegten, religiösen Vorstellungen. Allerdings setzte sich der Islam immer schneller auch unter den Mongolen durch und es setzten Christenverfolgungen ein, die unter dem grausamen Mongolenherrscher Timur Lenk (mong.: Der eiserne Gelähmte) ihren Hö- hepunkt fanden. Dieser weitläufig als Christenhasser bekannte, und eigentlich illegitime Mongolenherrscher (er besaß keinen Khan-Titel sondern war nur in eine Herrscherfamilie eingeheiratet) verfolgte die Christen mit solch einer Brutalität, dass sich die aramäische Population insbesondere in den östlichen Gebieten so erheblich dezimierte, dass sie sich bis in die Neuzeit eigentlich nie wieder richtig davon erholte. Als hätte er diese Vorzeichen vorhergesehen, trug der letzte große syrisch-orthodoxe Gelehrte seiner Zeit, Gregorius Bar Hebraeus (gest. 1286), die ganze theologische und kirchenrechtliche Tradition sowie das philosophische und naturwissenschaftliche Wissen seiner Zeit in enzyklopädischer Form zusammen. Wahrscheinlich ist es diesem Kraftakt zu verdanken, dass die Syrisch-Orthodoxe Kirche, in den für sie nun folgenden dunklen Jahrhunderten unter moslemischer Herrschaft, den wichtigsten Teil ihres kulturellen Erbes beibehalten konnte.

Nach den Kreuzzügen

In den folgenden Jahrhunderten fristeten die aramäischen Christen ihr Leben in einer Epoche ohne kulturelle Blütezeit. Als Dhimmis (arab.: Schutzbefohlene) wurden ihnen gerade so viele Rechte eingestanden, dass man zwar überleben konnte, aber gleichzeitig auch soweit unterdrückt, dass sie niemals eine Gefahr, wenn man überhaupt von so etwas sprechen konnte, für die moslemische Bevölkerung darstellen konnten. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden weitere Dekrete erlassen, die die Christen zu Bürgern zweiter Klasse degradierten. Ihnen war die Aufnahme in das Millet-System des Osmanischen Reiches verwehrt geblieben. Dieses regelte das Leben aller anerkannten nichtmoslemischen Bevölkerungsgruppen (zum Beispiel Armenier, Juden, Griechen). Aufgrund der Nichtberücksichtigung der aramäischen Christen in diesem System, war es ihnen nun verwährt Kirchen zu bauen, mussten ihre Häuser als Christenhäuser meist mit einer dunklen Farbe kenntlich machen und zudem eine höhere Kopfsteuer zahlen. Dieses methodische Vorgehen zwang viele Christen zum Islam überzutreten, die ihrerseits sogar oftmals die alteingesessenen Moslems in ihrem Christenhass übertrafen. Gerade die eindringenden Kurden wurden für die systematische Unterdrückung der Christen ausgenutzt. Dieses, von Osten her eindringende iranische und zumeist islamische Volk machte sich in den Siedlungsgebieten der Aramäer sesshaft und wurde aufgrund seines religiösen Fanatismus von den Osmanen für ihre politischen Interessen instrumentalisiert.